Das Mädchen mit der Eidechse

Das Bild zeigte ein Mädchen mit einer Eidechse. Sie sahen einander an und sahen einander nicht an, das Mädchen die Eidechse mit verträumten Blick. die Eidechse das Mädchen mit blicklosem Blick, glänzenden Auge. Weil das Mädchen mit seinen Gedanken anderswo war, hielt es so still, dass auch die Eidechse auf dem moorsbewachsenen Feldbrocken, an dem das Mädchen bäuchlings halb lehnte und halb lag, innegehalten hatte. Die Eidechse hob den Kopf und züngelte.

"Judenmädchen" sagte die Mutter des Jungen, wenn sie von dem Mädchen auf dem Bild sprach. Wenn die Eltern stritten und der Vater aufstand und sich in sein Arbeitszimmer zuückzog, wo das Bild hing, rief sie ihm nach: "Geh doch zu deinem Judenmädchen!" oder sie fragte: "Muss das Bild mit dem Judenmädchen da hängen?"Muss der Junge  unter dem Bild mit dem Judenmädchen schlafen?" Das Bild hing über der Couch, auf der der Junge Mittagsschlaf zu halten hatte, während der Vater Zeitung las.

Er hatte den Vater der Mutter mehr als einmal erklären hören, dass das Mädchen  kein Judenmädchen sei. Dass die rote Samtkappe, die es auf dem Kopf trug fest in die vollen, braunen Locken gedrückt und von ihnen fast verdeckt, kein religiöses, kein folkloristisches , sondern ein modisches Attribut sei. So waren Mädchen damals eben gekleidet. Außerdem haben bei den Juden die Männer die Käppchen auf, nicht die Frauen.

Das Mädchen trug einen dunkelroten Rock und über einem hellgelben Hemd ein dunkelgelbes Oberteil, wie ein Mieder mit Bändern am Rücken locker geschnürt. Viel von der Kleidung und vom Körper  liess der Felbrocken nicht sehen, auf den das Mädchen seine rundlichen Kinderarme gelegt und sein Kinn gestürtzt hatte.

Es mochte 8 Jahre alt sein. Das Gesicht war ein Kindergesicht. Aber der Blick, die vollen Lippen, das sich in die Stirn kräuselnde  und auf Rücken und Schlutern fallende Haar waren nicht kindlich, sondern weiblich. Der Schatten, den das Haar auf Wange und Schläfe warf, war ein Geheimnis, und das Dunkel des brauschendenn Ärmels, in dem der nackte Oberarm verschwand, eine Versuchung. Das Meer, das sich hinter dem Felbrocken und einem kleinen Stück Strand bis zum Holizont streckte, rollte mit schweren Wellen an, und durch dunkle Wolken brach Sonnenlicht und liess einen Teil des Meeres glänzen und Gesicht und Arme des Mädchens scheinen. Die Natur atmetete Leidenschaft.

Oder war alles Ironie? Die Leidenschaft, die Versuchung, das Geheimnis und das Weib im Kind? War die Ironie der Grund, dass das Bild den Jungen nicht nur faszinierte, sondern auch verwirrt? Er war oft verwirrt. Er war verwirrt, wenn die Eltern stritten, wenn die Mutter spitze Fragen stellte und wenn der Vater Zigarre rauchte, Zeitung las und entspannt und überlegen wollte, während die Luft im Arbeitszimmer so geladen war, dass der Junge sich nicht zu bewegen und kaum atmen getraute.

Und das hönische Reden der Mutter vom Judenmädchen war verwirrend. DerJunge hatte keine Ahnung, was ein Judenmädchen war.

2.
Von einem Tag auf den anderen hörte seine Mutter auf, vom Judenmädchen zu reden, und sein Vater, ihn zum Mittagsschlaf ins Arbeitszimmer zu holen. Eine Weile musste er mittags in dem Zimmer und Bett schlafen, in dem er auch nachts schlief. Dann war die Zeit des Mittagsschafs überhaupt vorbei. Er war froh. Er war neun und hatte länger mittags liegen müssen als irgendein Klassen-oder Spielkamarad.

Aber das Mädchen mit der Eidechse fehlte ihm. Immer wieder stahl er sich in das Arbeitszimmer des Vaters, um einen Bliick auf das Bild zu werfen und einen Augenblick mit dem Mädchen Zwiesprache zu halten. Er wuchs rasch in einem Jahr;  zuerst waren seine Augen auf der Höhe des dicken goldenen Rahmens,dann auf der des Felsens und später gleichauf mit den Augen des Mädchens.

Er war ein kräftiger Junge, breit gebaut und mit großknochigen Gliedmaßen. Als er in die Höhe schoß, hatte seine Ungelenkheit nichts Rührendes, sondern etwas Bedrohliches. Seine Kameraden hatten Angst vor ihm, selbst wenn er beim Spielen, Streiten und Kämpfen half. Er war ein Außenseiter. Er wusste es selbst. Allerdings wusste er nicht, dass sein Äußeres, seine Größe, Breite und Kraft, ihn zum Außenseiter machte. Er dachte, er sei die innere Welt, mit und in der er lebte. kein Kamarade teilte sie. Allerdings lud er auch keinen dazu ein. Wäre er ein zartes Kind gewesen, hätte er vielleicht unter den anderen zarten Kindern Spiel und  Seelengefährten gefunden. Aber gerade sie waren von ihm besonders eingeschüchtert.

Seine innere Welt war nicht nur von Gestalten bevölkert, von denen er las und die er von Bildern oder aus Filmen kannte, sondern auch von Personen aus der äußeren Welt, allerdings variierter Gestalt.
Er spürte, wenn hinter dem, was die äußereste Welt zeigte, noch etwas anderes war, das sie nicht zeigte. Dass seine Klavierlehrerin etwas zurückhielt, dass die Freundlichkeit des beliebten Hausarztes nicht echt war, das ein Nachbarkind, mit dem er gelegentlich spielte, etwas verbarg- er spürte es, lange bevor die Dieberreien des Kindes oder die Liebe des Arztes zu kleinen Jungen oder die Krankheit der Lehrerin offenbar wurden. Was es war, das nicht zutage trat, spürte er freilich auch nicht besser und schneller als andere. Er spürte ihm auch nicht nach. Er dachte sich lieber etwas aus, und das Ausgedachte war stets farbiger und aufregender als die Wirklichkeit.

Der Distanz seiner inneren Welt zu seiner äußeren entsprach eine Distanz, die der Junge zwischen seiner Familie und den anderen Menschen wahrnahm. Zwar stand der Vater, ein Richter am Gericht der Stadt, mit den beiden Beinen im Leben. Der Junge bekam mit, dass der Vater sich an der Wichtigkeit und Sichbarketi seiner Stellung freute, gerne zum Stammtisch der Honoratioren ging, Einfluss auf die Politik der Stadt nahm und sich in der Kirchengmeinde zum Prebyter wählen liesst. Die Eltern nahmten auch am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil.
Sie gingen zum Faschings und zum Sommerball,wurden zum Essen wingeladen und luden zum Essen ein.Geburtstage des Jungen wurden gefeiert, wie sie sich gehörte, mit fünf Gästen zumfünften Geburtstag, sech zum sechsten und so fort. Überhaupt alles, wie es sich gehörte, und also in den fünfziger Jahren von der gebotenen Förmlichkeit und Distanzierheit. Was der Junge als Distanz zwischen seiner Familie und den anderen Menschen wahrnahm, war nicht diese Förmlichkeit, sondern etwas anderes. Er hatte damit zu tun, dass auch die Eltern etwas zurückzuhalten oder zu verbergen schienen. Sie waren auf der Hut. Wenn es Witz erzählt wurde, lachten sie nicht sofort, sondern warteten, bis die anderen lachten. Im Konzert und Theater klatschten sie erst, wenn die anderen klastchten. Bei Gesprächen mit Gästen hielten sie mit ihrer Meinung zurück, bis andere dieselbe Meinung äußerten und sie sekundieren konnten. Manchmal kam der Vater nicht umhin, Positionen zu beziehen und Meinungen zu äußern. Dann wirkte er angestrengt.

Oder war der Vater nur taktvoll und wollte sich nicht einmischen und aufdrängen? Der Junge stellte sich die Frage, als er älter wurde und die Vorsicht seiner Eltern bewusster wahrnahm. Er fragte sich auch, was es mit dem Insistitieren der Eltern auf ihrem eigenen, privaten Raum auf sich hatte. Er durfte das Schlafzimmer der Eltern nicht betreten, hatte es schon als kleines Kind nicht betreten. Zwar scholossen die Eltern das Schlafzimmer nicht ab. Aber ihr Verbot war unmissverständlich und ihre Autorität unangefochten-jedenfalls bis der Junge dreizehn war und eines Tages, als die Eltern weg waen, die Tür öffnete und zwei getrennt stehende Betten, zwei Nachttische, zwei Stühle, einen Holz-und einen Metallschrank sah.
Wollten sie ihm Sinn für Privatheit und Respekt davor beibringen? Immehin betraten sie auch sein Zimmer nie, ohne anzukopfen und auf seine Aufforderung zum Eintreten zu warten.

3
Das Arbeitszimmer des Vaters zu betreten war dem Jungen nicht verboten. Obwohl es mit dem Bild vom Mädchen mit der Eidechse ein Geheimnis barg.
Als er in der Quartra, im dritten Jahr auf dem Gymnasium, war, gab der Lehrer als Hausarbeit eine Bildbescheibung auf. Die Wahl des Bildes stellte er frei. "Muss ich das Bild, das ich beschreibe, mitbringen?" fragte ein Schüler . Der Lehrer winkte ab. "Ihr sollt das Bild so gut beschreiben, dass wir s beim Lesen vor uns sehen." Für den Jungen verstand sich, dass er das Bild vom Mädchen mit der Eidechse beschreiben würde. Er freut sich darauf. Auf das genaue Betrachten des Bildes, das Übesetzen des Bildes in Worte und Sätze, das Vorführen des von ihm beschriebenen Bildes vor Lehrer und Mitschühlern. Er freut sich auch darauf, im Arbeitszimmer des Vaters zu sitzen. Es ging auf einen eigen Hof, das Licht des Tages und die Geräusche der Straße waren gedämpft. die Wände standen voll mit Regalen und Büchern, und der Geruch der gerauchten Zigarren hing würzig und streng im Raum.

Der Vater war zum Mittagessen nicht nach Hause gekommen, die Mutter gleich danach in die Stadt gegangen. So fragte der Junge niemanden um Erlaubnis, setzte sich ins väterliche Arbeitszimmer, schaute und schrieb. "Auf dem Bild ist das Meer zu sehen, davor der Strand, davor ein Felsen oder eine Düne und darauf ein Mädchen und eine Eidechse".
Nein, der Lehrer hatte gesagt, eine Bildbeschreibung geht vom Vordergrund über den Mittelgrund zum HIntergrund.
"Im Vordergrund des Bildes sind ein Mädchen und eine Eidechse auf einem Felsen oder einer Düne, im Mittelgrund ist ein Stand, und vom Mittel.zum Hinergrund ist das Meer" Ist das Meer? Wogt das Meer?


Aber das Meer wogt nicht vom Mittel zum HIntergrund, sondern vom Hinter zum Mittelgrund. Außerdem klingt Mittelgrund hässlich , und Vorder .und Hintergrund klingen nicht viel besser. Und das Mädchen -ist es? Ist das alles, war über das Mädchen zu sagen ist?
Der Junge fing neu an. "Auf dem Bild ist ein Mädchen. Er sicht eine Eidechse." Auch das war noch nicht alles, was über das Mädchen zu sagen war. Der Junge fuhr fort. "Das Mädchen hat ein blasses Gesicht und blasse Arme, braune Haare, trägt oben etwas Helles und unten einen dunklen Rock." Aber auch damit war er nicht zufrieden, Er setzte noch mal an. "Auf dem Bild sieht ein Mädchen einer Eidechse zu, wie sie sich sonnt." Stimmt das? Sieht das Mädchen dr Eidechse zu und nicht vielmehr übe sie hinweg, durch sie hindurch? Der Junge zögerte. Aber dann war es ihm egal. Denn an den ersten schloss der zweite Satz an: "Das Mädchen ist wunderschön." Der Satz stimmte, und mit ihm begann auch die Beschreibung zu stimmen.

"Auf dem Bild sieht Mädchen einer Eidechse zu, wie sie sich sonnt. Das Mädchen ist wunderschön. Es hat ein feines Gesicht mit einer glatten Stirn, einer geraden Nase und einer Kerbe in der Oberlippe. Es hat braune Augen und braune Locken. Eigentlich ist das Bild mur der Kopf des Mädchen. Alles andere ist nicht wichtig. Als da sind die Eidechse , der Felsen oder die Düne, der Strand und das Meer."
Der Junge war zufrieden. Jetzt musste er alles nur noch in den Vorder-, Mittel, und Hintergrund rücken. Er war stolz auf "als da sind". Es klang elegnt und erwachsen. Er war stolz auf die Schönheit des Mädchens.

Als er seine Vater die Wohnungstür aufshcließen hörte, blieb er sitzen. Er hörte ihn die Aktentasche abstellen, den Mantel ausziehen und aufhängen, in die Küche und ins Wohnzimmer schauen und an seine Tür klopfen.
"Ich bin hier", rief er und legte die Sudelblätter passgenau auf das Heft und den Füllhalter daneben. So lagen die Akten, Blätter und Stifte auf Vaters Schreibtisch.
"Ich sitze hier, weil wir eine Bildbeschreibung aufhaben und ich das Bild hier beschreibe" Kaum ging die Tür auf, redete er los.
Der Vater brauchte einen Moment. "Welches Bild?Was machst du?"
Der Junge erkärte noch mal. Daran, wie der Vater stand, auf das Bild und auf ihn sah, und die Stirn runzelte, merkte er, dass er etwas falsch gemacht  hatte. "Weil du nicht da warst, habe ich gedacht..."
"Du hast ..." Der Vater redete mit gepresste Stimme, und der Junge dacht, gleich würde die Stimme kippen und brüllen, und duckte sich weg. Aber der Vater brüllte nicht.
Er schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Drehstuhl zwischen dem Schreibtisch und dem Tisch, der ihm als Ablage für seine Akten diente,und an dessen anderer Seite der Junge saß. Hinter dem Vater, neben dem Schreibtisch hing das Bild. Sich an den Schreibtisch zu setzen hatte der Junge nicht gewagt. "Magst du mir vorlesen, was du geschrieben hast?"

Der Junge las vor, stolz und ängstlich zugleich. "Das hast sehr schön geschrieben, mein Junge. Ich habe das Bild genau vor mir gesehen. Aber...., er zögerte, "es ist nichts für die anderen. Für die anderen solltest du ein anderes Bild beschreiben."
Der Junge war so froh, dass der Vater ihn nicht anbrüllte, sondern vertrauens-und liebevoll mit ihm redete, dass er zu allem bereit war. Aberer verstand nicht. "Warum ist das Bild nichts für die anderen?"
"Behältest du nicht auch manchmal Sachen für dich? Willst du uns oder deine Freunde bei allem, was du tust, dabeihaben? Schon weil die anderen neidisch sind, soll man ihnen seine Schätze nicht zeigen. Entweder sie werden traurig, weil sie nicht auch haben, was du hast, oder sie werden gierig und wollen es dir wegnehmen."
"Ist das Bild ein Schatz?"
"Das weisst du selbst. Du hast es gerade so schön beschrieben, wie man nur einen Schatz beschreibt."
!Ich nehme, ist es so viel wert, dass die andren neidisch werden?"
Der Vater drehte sich um und sah das Bild an. "Ja, es ist sehr viel wert, und ich weiss nicht, ob ich es beschützen kann, wenn die anderen es stehlen wollen. Ist da nicht besser, sie wissen gar nicht, dass wir haben?"
Der junge nichte.
"Komm, lass uns ein Buch mit Bildern anschauen, wir finden sicher eines, das dir gefällt."
4.
Als der Junge verzehn Jahre war, gab der Vater das Richteramt auf und  nahm eine Stelle bei einer Versicherung an. Er tat es nicht gerne--der Junge merkte es, obwohl der Vater sich nicht beklagte. Der Vater erkärte auch nicht, warum er wechselte .Erste Jahre später fand der junge hearus. Als Folge des Wechsels wurde die alte Wohnungfür eine kleinere aufgegeben. Statt in der Herrschflichen Etage eines viergeschlossigen wilhelmnischen Stadhaus wohnten sie in einer von vierundzwanzig Wohnungen eines Miethuases am Stadtrand , von einem sozialen Wohnungsbauprogramm gefördert und nach dessen Normen gebaut. Die vier Zimmer waren klein, die Decke niedrig und die Geräusche und Gerüche der Nachbarwohnungen stets präsent. Immerhin waren es vier Zimmer; neben dem Wohn., Schlaf. und Kindzimmer behielt der Vater ein Arbeitszimmer. Dorthin zog er sich abends zurück, auch wenn er keine Akten mehr mitbrachte und bearbeitete.
"Du kannst auch im Wohnzimmer trinken", hörte der Junge seine Mutter eines Abends zum Vater sagen, "und vielleicht trinkst weniger, wenn du manchmal einen Satz mit mir redest."
Auch der Umgang der Eltern änderte sich. Die Essen und die Damen-und Herrenabende blieben aus, bei denen der Junge den Gästen die Tür aufgemacht und die Mäntel abgenommen hatte. Er vermisste die Atomosphäre, wenn im Esszimmer der Tisch mit weissen Porzellan gedeckt und silbernen Lichtern geschmückt war und die Eltern im Wohnzimmer Gläser, Gebäck, Zigarren und Aschenbecher richteten, schon auf das erste Klingeln lauschend. Er vermisste auch den einen und anderen Freund der Eltern. Manche hatten ihn nach seinem Ergehen in der Schule  und nach seinen Interessen gefragt, beim nächsten Besuch noch gewusst, war er geantwortet hatte, und daran angeknüpft. Ein Chirrung hatte ihm die Operation von Stoffbären diskutiert und ein Geloge Vulkanausbrüche, Erdbeben und Wanderdünnen. Er vermisste besonders eine Freundin der Eltern.
Anders als seine schlanke, nervöse, fahrige Mutter war sie vond rundlicher , fröhlicher Gemütlichkeit. Als kleinen Jungen hatte sie ihm im Winter unter ihren Pelzmantel genommen, in den streichelnden Glanz seines seidigen Futters und in den überwältigenden Geruch ihres Parfüms.
Später hatte sie ihn mit Eroberungen, die er nicht machte, Freundinnen, die er nicht hatte, geneckt..es hatte ihn verlegen und zugleich stolz gemacht, und wenn sie ihm manchmal auch später noch spielerisch an sich gezogen und den Pelzmantel m sie beide gehüllt hatte, hatte er die Weiche ihres Körpers genossen.
Es dauerte lange, bis neue Gaste kamen. Es waren Nachbarn, Kollegen des Vaters aus der Versicherung und Kolleginnen der Mutter, die inzwischen als Schreibkraft in der Polizeidirektion arbeitete. Der Junge merkte, dass Eltern unsicher waren; sie wollten sich in ihre neue Welt hineinfinden, ohne die alte zu verleunignen, und waren entweder zu abweisend oder zu vertraulich.
Auch der Junge musste sich umstellen. Die Eltern liessen von dem alten Gymnasium, das wenige Schritte von der alten Wohnung entfernt lag, in ein neues wechseln, von der neuen Wohnung wieder nicht weit entfernt. So änderte sich auch sein Umgang. Der Ton in der neuen Klasse war rauher, und er war weniger ein Außenseiter als in der alten Klasse. Ein Jahr lang ging er zu seiner Klavierlehrerin in der Nähe der alten Wohnung. Dann fanden die Eltern seine Fortschritte im Klavierspiel so kläglich , dass sie den Unterricht beenden und das Klavier verkaufen.
Ihm waren die Fahrten mit dem Rad zur Klavierleherin kostbar gewesen, weil sie ihn and der alten Wohnung und am Nachbarhaus vorbeibeführten, wo ein Mädchen wohnte , mit dem er ab und zu gespielt hatte und ein Stück des Schulwegs gemeinsam gegangen war. Sie hatte dichte rote Locken bis auf die Schultern und eine Gesicht voller Sommersprossen. Er fuhr langsam an ihrem Haus vorbei und hoffte, sie würde heraustreten, er würde ihn begrüßen, er würde sie begleiten, das fahrad neben sich schiebend, und ganz selbstverständlich würde sich ergeben, dass sie sich wiedersähen. Sie würden sich nicht eigentlich verabreden, sondern einfach verständigen, wo sie wann sein würde und er auch, Für eine Verabredung war sie viel zu jung. Aber sie trat nie aus dem Haus, wenn er vorbeifuhr.

5.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, Menschen würden Lebensentscheidungen erst treffen, wenn sie erwachsen werden oder sind. Kinder lassen sich mit der gleichen Entschiedenheit auf Handlungen und Lebensweisen ein wie Erwachsene. Sie bleiben nicht für immer bei ihren Entscheidungen, aber auch Erwachsene werfen ihre Lebensentscheidungen wieder über den Hauften.

Nach einem Jahr entschloss sich der Junge, in der neuen Klasse und Umgebung jemand zu sein. Es fiel ihm nicht schwer, sich mit siner Kraft Respekt zu verschaffen, und da er auch gescheit und einfallsreich war, gehörte er in der Hierarchie, die in seiner wie in der Klasse über eine diffuse Mischung von Strärke, Frecheheit,Witz und Vermögen der eltern definiert war, bald zu denen , die zählten.
Sie zählten auch bei den Mädchen, nicht in der eigenen Schule, in der es kleine Mädchen gab, aber im Mädchengymnasium ein paar Straßen weiter. Der JUnge verliebte sich nicht. Er suchte sich eine aus, die etwas galt, von herausfordernder Attraktivtät war, ein flottes Mundwerk hatte, sich Erfahrung mit Jungen nachsagen ließ, aber auch, dass sie schwere zu kriegen sei. Er impnierte ihr mit seiner Kraft, mit dem Respekt, den er genoß, und dadurch, dass das nicht alles war. Was da noch war, wusste sie nicht, aber es war etwas, was sie bei anderen nicht gefunden hatte und sehen und haben wollte. Er merkte es und ließ gelegentlich aufblitzen, dass er Schätze habe, die er nicht leichthin zeige, ihr aber vielleicht zeigen werde, wenn.... Wenn sie mit ihm gehen würde? Schmusen würde?

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